Literarisches Werk


Der Schnellläufer

Der Schnellläufer

(Hurtigløberne)

Hans Christian Andersen

 



Übersicht


Originalsprache : Dänisch
Stichwort : Kunstmärchen
Verlag : Artemis & Winkler Verlag, aufbau, Manesse Verlag
Buchreihe : Taschenbibliothek der Weltliteratur

Kurzbeschreibung


»Der Schnellläufer« ist ein Märchen von Hans Christian Andersen. 1858 wurde das literarische Werk zuerst veröffentlicht.

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Es war ein Preis ausgesetzt, ja, es waren zwei ausgesetzt, ein kleiner und ein großer, für die größte Schnelligkeit, aber nicht etwa bei einem Laufe, sondern über das ganze Jahr verteilt.
”Ich bekam den ersten Preis” sagte der Hase; ”Gerechtigkeit muß doch sein, wenn die eigene Familie und gute Freunde mit im Rate sitzen; aber daß die Schnecke den zweiten Preis bekam, finde ich beinahe beleidigend für mich:”
”Nein,” versicherte der Zaunpfahl, der bei der
Preisverteilung Zeuge gewesen war,” es muß auch Fleiß und guter Wille berücksichtigt werden, das wurde von mehreren achtbaren Personen gesagt, und das habe ich sehr wohl verstanden. Die Schnecke hat freilich ein halbes Jahr gebraucht, um über die Türschwelle zu kommen, aber sie hat sich den Schenkel bei der übereilten Arbeit, die es doch für sie war, gebrochen. Sie hat einzig und allein für den Lauf gelebt, und außerdem lief sie mit ihrem Hause. - Das ist aller Achtung wert. Und deshalb bekam sie den zweiten Preis.”
”Ich hätte doch auch in Betracht gezogen werden können!” sagte die Schwalbe. ”Hurtiger in Flug und Schwenkung, glaube ich, hat sich keiner bewiesen, und wo bin ich nicht überall gewesen: weit, weit, weit.” ”Ja, das ist eben Ihr Unglück” sagte der Zaunpfahl, ”Sie bummeln zu viel herum. Immer wollen Sie weiter fort nach dem Auslande, wenn es hier zu frieren beginnt. Sie haben keine Vaterlandsliebe. Sie können nicht in Betracht kommen!”
”Aber wenn ich nun den ganzen Winter lang im Moore gelegen habe” sagte die Schwalbe, ”und die ganze Zeit verschlafen hätte, käme ich dann in Betracht?”
”Schaffen Sie ein Attest von der Moorfrau herbei, daß Sie die halbe Zeit im Vaterland verschlafen haben, dann sollen Sie in Betracht gezogen werden!”
”Ich hätte freilich den ersten Preis verdient und nicht den zweiten” sagte die Schnecke. ”Eins weiß ich genau, der Hase ist nur aus Feigheit gelaufen, jedesmal, wenn er glaubte, daß Gefahr drohe. Ich dagegen habe meinen Lauf als Lebensaufgabe aufgefaßt und bin im Dienste zum Krüppel geworden. Wenn überhaupt jemand den ersten Preis erhalten sollte, so wäre ich es! - Aber ich mache kein Aufhebens davon, das verachte ich!” Und dann spuckte sie.
”Ich kann mit Wort und Rede dafür gerade stehen, daß jeder Preis, wenigstens meine Stimme da zu, nur vom Gerechtigkeitsstandpunkte aus gegeben worden ist” sagte das alte Landvermessungszeichen im Walde, das Mitglied des entscheidenden Richterkollegiums war. ”Ich gehe immer mit Ordnung, Überlegung und Berechnung zu Werke. Sieben Mal habe ich schon die Ehre gehabt, zur Preisverteilung herangezogen zu werden, aber außer heute habe ich noch niemals meinen Willen durchsetzen können. Bei jeder Verteilung bin ich von etwas Bestimmten ausgegangen. Beim ersten Preis habe ich bei den Buchstaben immer von vorne angefangen und beim zweiten Preis von rückwärts. Wollen Sie nun bemerken, daß, wenn man von vorne rechnet, der achte Buchstabe nach dem A das H ist, da haben wir den Hasen, und so stimmte ich beim ersten Preise für den Hasen; der achte Buchstabe von rückwärts ist das S, deshalb stimmte ich für die Schnecke bei der zweiten Prämie. Beim nächsten Male wird das I der erste und das R der zweiter - jedes Ding muß seine Ordnung haben. Man muß immer etwas haben, wonach man sich richten kann.”
”Ich hätte für mich selbst gestimmt, wäre ich nicht einer der Richter gewesen,” sagte der Maulesel, der auch unter den Preisrichtern war. ”Man soll nicht nur berücksichtigen, wie schnell man vorwärts kommt, sondern auch die anderen Eigenschaften, zum Beispiel, wie viel man ziehen kann. Das wollte ich dieses Mal nicht hervorheben, auch nicht die Klugheit des Hasen, bei seiner Flucht mit einem Mal einen Sprung zur Seite zu tun, um die Leute auf falsche Spur zu fahren. Nein, es gibt noch etwas, worauf viele Leute Wert legen, und was man keinesfalls außer acht lassen darf, das ist das, was man das Schöne nennt. Darauf habe ich hier gesehen, ich betrachtete die schönen, wohlgeformten Ohren des Hasen, es ist ein Vergnügen zu sehen, wie lang sie sind. Ich meinte schier, mich selbst zu erblicken, als ich noch klein war, und deshalb stimmte ich für ihm”
”Pst.” sagte die Fliege, ”ich will keine Rede halten, ich will nur eben etwas sagen. Ich weiß, daß ich mehr als einen Hasen in Grund und Boden gelaufen habe. Neulich habe ich einem von den Jüngsten die Hinterbeine zerbrochen. Ich saß auf der Lokomotive vor dem Eisenbahnzuge, das tue ich oft, man kann dort seine eigene Schnelligkeit am besten beobachten. Ein junger Hase lief weit voraus, er ahnte nicht, daß ich da war. Zuletzt mußte er abschwenken, aber da hatte ihm die Lokomotive schon die Hinterbeine gebrochen, denn ich saß darauf. Der Hase blieb liegen, ich fuhr weiter. Das heißt doch wohl, ihn besiegen! Aber ich dränge mich nicht nach dem Preis.”
”Mir scheint eigentlich,” dachte die wilde Rose, aber sie sprach es nicht aus, es liegt nicht in ihrer Natur, sich auszusprechen, obwohl es ganz gut gewesen wäre, wenn sie es getan hätte, ”mir scheint eigentlich, daß der Sonnenstrahl den ersten Ehrenpreis hätte bekommen müssen, und den zweiten dazu. Er fliegt in einem Augenblick den unermeßlichen Weg von der Sonne zu uns hinab und kommt mit einer Stärke, daß die ganze Natur dabei erwacht. Er ist von einer Schönheit, daß all wir Rosen erröten und zu duften anfangen. Die hohe urteilfällende Behörde scheint ihn gar nicht bemerkt zu haben! Wäre ich der Sonnenstrahl, so bekäme jeder von ihnen einen Sonnenstich - aber das würde sie nur närrisch machen, übrigens werden sie es ohnedies werden. Ich sage nichts!” dachte die wilde Rose. ”Frieden im Walde. Herrlich ist es zu blühen, zu duften, zu erquicken und in Sage und Sang fortzuleben. Der Sonnenstrahl überlebt uns doch alle zusammen!”
”Was ist der erste Preis?” fragte der Regenwurm, der es verschlafen hatte, und jetzt erst dazu kam.
”Er besteht im freien Eintritt in einen Kohlgarten.” sagte der Maulesel; ”ich habe diesen Preis vorgeschlagen. Der Hase mußte und sollte ihn bekommen, und deshalb nahm ich als vernüftig denkendes und handelndes Mitglied Rücksicht auf den Nutzen dessen, der ihn erhalten sollte. Nun ist der Hase versorgt. Die Schnecke hat Erlaubnis, auf der steinernen Mauer zu sitzen und sich an Moos und Sonnenschein zu delektieren; außerdem wurde sie zu einem der ersten Richter für den Schnellauf ernannt. Es ist immer gut, einen Fachmann mit im Komitee zu haben. Ich muß sagen, ich erwarte viel von der Zukunft, es hat schon so gut angefangen!”

Gemeinfreier Text

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Übersetzung


Thyra Dohrenberg (1959)
Eva-Maria Blühm (1988)


Ausgaben


nicht mehr lieferbar
Gesammelte Märchen
Gesammelte Märchen
(Hans Christian Andersen)
Manesse Verlag, 1949, 648 S., 9783717510161
24,90 €

Die Galoschen des Glücks
Die Galoschen des Glücks
(Hans Christian Andersen)
aufbau, 1988, 461 S., 9783351009113

Sämtliche Märchen in zwei Bänden
Sämtliche Märchen in zwei Bänden
(Hans Christian Andersen)
Artemis & Winkler Verlag, 1996, 1560 S., 9783538050037




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